Ich, mein Geist und die Frage des Meditierens
Also gut.
Da sitze ich wieder.
Auf meinem Meditationskissen, das inzwischen eine Form hat, die verdächtig nach meinem Hintern aussieht.
Ich atme ein, ich atme aus, und ich sage zu mir selbst:
„So. Jetzt wird’s ernst.“
Mein Geist: „Im Ernst? Wirklich? Wir hatten doch gerade überlegt, was wir später essen.“
Ich: „Nein. Heute nicht. Heute meditieren wir.“
Mein Geist: „Wie? Gedanken aus? Stille an? Viel Spaß dabei.“
Von irgendwo her höre ich ein dreckiges Lachen.
Ach nein, nicht von irgendwo, das ist ja mein Geist.
Ich ignoriere ihn. Zumindest versuche ich es.
Einatmen.
Ausatmen.
Einatmen.
Mein Geist: „Du, wegen dem Essensplan …“
Ich: „RUHE!“
Mein Geist: „Ich wollte nur kurz sagen, dass wir nichts mehr im Kühlschrank haben.“
Ich: „Wir meditieren jetzt. Fokus.“
Mein Geist: „Ja, ja. Fokus. Sagst du jedes Mal. Und dann denkst du wieder drei Minuten lang über Brokkoli nach.“
Ich verdrehe innerlich die Augen. Das Schlimmste ist ja: Mein Geist hat recht.
Warum denken wir eigentlich beim Meditieren?
Nach fünf Minuten gebe ich zu: Ich bin in dieser Runde wieder eher gedanklich auf dem Wochenmarkt unterwegs als auf meinem Kissen.
Also frage ich mich, also eigentlich meinen Geist:
Ich: „Warum kommst du eigentlich immer dazwischen?“
Mein Geist: *Schnauft.* Ist ja verrückt — mein Geist kann schnaufen, ich wusste gar nicht, dass er eine Nase hat.
„Weil ich denke. Das ist mein Job. Du willst mich nicht denken lassen? Dann killst du ja quasi die Festplatte.“
Ich: „Aber beim Meditieren soll man doch die Gedanken ausschalten!“
Er: „Meditation heißt nicht denken?! Ach, bitte. Wer hat dir diesen Unsinn erzählt? Meditation heißt: Nicht jedem Gedanken hinterherrennen wie ein Hund dem Jogger.“

Ich halte inne.
Ein Satz, der auf einmal viel zu intelligent klingt für ein Gehirn, das mich gerade noch zu Nudeln überreden wollte.
„Wenn ich still bin“, sagt mein Geist, „bist du bewusst.“
Und ich merke: Da ist was dran.
Es geht nicht darum, keine Gedanken zu haben.
Es geht darum, die Gedanken zu sehen und sich nicht von jedem einzelnen kidnappen zu lassen.
So weit, so gut.
Das klingt ja schon fast nach Yogaweisheit.
Da habe ich auf meinem Yogaweg über die Jahre wirklich was gelernt.
Und plötzlich sind wir beim achtgliedrigen Pfad – da Pfad ja ein Pseudonym für Weg ist.
Nach ein paar weiteren Atemzügen, in denen ich es immerhin geschafft habe, nicht wieder über Brokkoli oder Nudeln nachzudenken, taucht der nächste Gedanke auf:
Mein Geist: „Sag mal … an welchem Punkt bist du jetzt eigentlich gerade? Vom achtgliedrigen Pfad?“
Ich stutze.
Er hat mich erwischt.
Ich: „Keine Ahnung. Vielleicht bei Punkt fünf?“
Mein Geist: „Also bei Pratyahara, dem Zurückziehen der Sinne? Dafür bist du ziemlich aufmerksam, was den Kühlschrank angeht.“
Ich seufze.
„Gut. Vielleicht Punkt sechs? Konzentration?“
Mein Geist: „Du hast gerade überlegt, ob du morgen Wäsche machst.“
Ich: „Also Punkt sieben – Dhyana? Meditation im engeren Sinne?“
Mein Geist: „Wenn du meinst.“ Man hört deutlich, wie er grinst.
Ich: „Okay, Geist. Erklär du mir’s doch.“
Er:
„Dharana ist der Moment, in dem du sagst: Fokus!“
„Dhyana ist der Moment, in dem du’s tatsächlich schaffst.“
„Samadhi ist der Moment, in dem du nicht mal mehr merkst, dass du’s schaffst.“
Ich: „Und wo bin ich?“
Er: „Du? Zwischen Dharana und der Frage, ob du Hafermilch kaufen musst.“
Ich muss lachen. Also schmunzeln. Innerlich. Ein bisschen.

Die Wahrheit über den Pfad
Die Sache ist ja:
Ich habe jahrelang gedacht, der achtgliedrige Pfad sei wie so ein Videospiel.
Erreiche Level 5, halte durch, dann Level 6, dann 7, irgendwann Meisterstatus, goldene Aurastraßen, Samadhi und vielleicht gratis WLAN im Universum.
Aber so läuft es nicht.
Mein Geist sagt es auf seine Art:
„Du kannst bei Punkt 3 stehen, während du schon Punkt 8 kurz spürst.
Und du kannst bei Punkt 7 sein und trotzdem Punkt 1 vergessen haben.“
Der Pfad ist kein Weg.
Der Pfad ist ein Zustand.
Das sage nicht ich.
Das sagt mein Geist.
(Manchmal fürchte ich, er ist klüger als ich.)
Der Moment, der mich überrascht
Ich sitze also weiter.
Atme.
Fühle.
Merke, wie Gedanken kommen und gehen und ich nicht jedes Mal aufspringen muss wie ein Hund,
der einen Ball sieht.
Und plötzlich passiert etwas.
Es wird still.
… Nicht draußen.
… Nicht im Kopf.
…Sondern … in mir.
Ein Moment, der so kurz ist, dass ich fast dran vorbeisehe.
Mein Geist sagt nichts.
Er meckert nicht.
Er kommentiert nicht.
Er plant kein Essen.
Er schweigt einfach.
Ich erschrecke fast.
„Na also“, flüstert er dann,
„das da war Dhyana. Kurz. Aber echt.“
Ich spüre ein warmes Gefühl.
Als hätte ich etwas geschafft, das man nicht wirklich schaffen kann.
Werde ich Samadhi jemals erreichen?
Nach einer Weile frage ich ihn:
Ich: „Glaubst du, ich erreiche irgendwann Punkt acht?“
Er zögert.
Und dann sagt er:
„Punkt acht ist kein Ziel. Es ist der Moment, in dem du aufhörst, zu fragen.“
Ich lasse das sacken.
Vielleicht ist Samadhi nicht der Zustand, den man erreicht.
Sondern der Zustand, in dem man nichts mehr erreichen muss.
Und irgendwie fühlt sich das tröstlich an.

Was Meditation mir wirklich bringt
Ich stehe später auf, strecke mich, die Beine eingeschlafen, der Rücken leicht verkrampft.
Keine Erleuchtung.
Keine schwebende Matte.
Kein kosmischer Download.
Aber etwas ist anders.
Nicht die Gedanken.
Nicht der Geist.
Nicht die Welt.
Ich.
Meditation bringt mir nicht Ruhe.
Meditation bringt mir Raum.
Und in diesem Raum bin ich nicht der Diener meines Geistes.
Ich bin der Beobachter.
Das reicht.
Vielleicht ist es genau das, was man Fortschritt nennt.
Und vielleicht ist es genau das, was mich eines Tages,
ohne dass ich’s merke,
ein kleines Stück näher an Punkt 8, die Erleuchtung, bringt.

